„Veränderungen sind Chancen, nicht der Untergang“

Maria Noichl und Lutz Rille informierten und diskutierten über die Arbeit der EU – Stehen den Landwirten schwere Zeiten bevor?

„Was läuft in Brüssel hinsichtlich Freihandelsabkommen und Agrarpolitik? Und welche Möglichkeit der Einflussnahme haben wir?“ Diesen Fragen ging das Agrarbündnis Berchtesgadener Land/Traunstein im Rahmen eines Informations- und Diskussionsabends im Gasthaus Alpenblick in Weibhausen auf den Grund. Mit der SPD-Europaparlamentarierin Maria Noichl und Lutz Ribbe,……. Direktor der umweltpolitischen Abteilung der Stiftung Europäisches Naturerbe (EuroNatur)und Agrarexperte im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU, standen zwei kompetente wie engagierte Gesprächspartner Rede und Antwort.
„Man muss sich stets vor Augen führen: Europa wird nicht von der SPD oder den Grünen geführt“, machte Maria Noichl zu Beginn deutlich. Diese Machtstrukturen aufzubrechen und sich gegen den „Mainstream“ und den Lobbyismus in der Politik zu stellen käme dem langsamen Bohren harter Bretter gleich. Die Handelsabkommen CETA und TTIP mit Kanada und den USA waren an diesem Abend kein Thema, wohl aber das Wirtschaftspartnerabkommen mit Ghana: „Das Abkommen wurde unter dem Druck der EU von Ghana ratifiziert. Anderenfalls wären Strafzölle und Importverbote verhängt worden“, erläuterte die Sozialdemokratin. Bewusst verfolge die EU eigene Handelsinteressen beispielsweise den zollfreien Export und die Öffnung der Märkte für europäische Länder. „Es profitieren die Falschen“, monierte Noichl: „Dem Sturm der Waren können die ehemaligen Kolonialstaaten nicht standhalten. So wird die Unterentwicklung in diesen Ländern nicht abgebaut. Hier wäre Care-Handel statt Fair-Handel erforderlich gewesen.“ Partnerschaft sieht für die sozialdemokratische Politikerin anders aus: „Wir sollten die Menschen in den Entwicklungsländern befähigen, mit Maschinen umzugehen und für sich selbst zu sorgen, anstatt sie mit unseren Produkten zuzuschütten, die ihre Märkte zerstören.“
Auch das Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko, das inzwischen vom Europäischen Gerichtshof gekippt wurde, griff die Europaabgeordnete scharf an. „Der Vertrag schließt das von Marokko besetzte Gebiet der Westsahara ein. Das ist illegal. Marokko darf sein Handelsgebiet nicht einfach auf das unrechtmäßig besetzte Gebiet ausdehnen. Und zum ersten Mal hat eine Europäische Institution diese Einschätzung bestätigt“, lobte das Mitglied des Agrarausschusses, kritisierte in diesem Zusammenhang aber massiv die „Doppelzüngigkeit der EU“: „Russland wird wegen der Annektierung der Krim mit einem Handelsembargo belegt, während man gleichzeitig mit Marokko Handelsabkommen anstrebt.“
„Es sind auch bayerische Politiker, die in Brüssel mitentscheiden. Deshalb geht auf Eure Mandatsträger zu, benennt die Schwachstellen und verändert die Machtstrukturen mit Eurem Wahlverhalten“, rief Lutz Ribbe den Zuhörern zu und vergegenwärtigte, dass die Energiewende oder die Skepsis gegenüber Fracking nicht auf die Vernunft der Politiker, sondern vielmehr auf den Druck der Zivilgesellschaft zurückzuführen sei. Hart ins Gericht ging der Experte mit der deutschen Agrarpolitik. Sie sei ursächlich für die katastrophale Situation der Milchbauern: „Mit ihrer Preis- und Subventionspolitik drängen Landwirtschaftsministerium und Deutscher Bauernverband vor allem die Kleinbauern in die Existenznot und forcieren die Umweltvernichtung“, tadelte Ribbe. Die aktuelle Subventionspolitik helfe ausschließlich den Betrieben, die sich an der Industrialisierung der Milchproduktion orientierten, beklagte er: „Der Teufel sch… auf den größten Haufen. Der Großteil der Agrarsubventionen geht an Großbetriebe, die es eh schon haben. Rund 50 Prozent der Bauern in Deutschland bekommen Subventionen, die gerade einmal dem Hartz-IV-Satz entsprechen, oft ist es sogar noch wesentlich weniger“, beanstandete der Agrarexperte. Die Richtungsweisung aus Brüssel, die Agrarpolitik grüner und gerechter, klima- und umweltfreundlicher zu gestalten, mehr Geld bereitzustellen für Agrarprogramme sowie für Leistungen, die die Landwirte für die Gesellschaft erbringen, die aber nicht über den Preis abgegolten werden können, sei insbesondere vom Bauernverband „torpediert“ worden. „Der DBV ist eingekapselt, schießt nur noch um sich. Ein gesellschaftlicher Dialog ist nicht mehr möglich. Dabei ist es gerade jetzt so wichtig, die Zeichen der Zeit zu erkennen“, gab der Agrarexperte zu bedenken.
Denn auf die Landwirte würden schwere Zeiten zukommen, kündigte Rille an. „In Brüssel wird die nächste Finanzperiode vorbereitet. Durch den Ausstieg Großbritanniens aus der EU stehen jährlich rund elf Milliarden Euro weniger zur Verfügung und Jean-Claude Juncker, der als Kommissions-Präsident große Macht angehäuft hat, gibt Projekten den Vorzug, die Wachstum und Beschäftigung fördern. Außerdem kommen neue Aufgaben auf die EU-Finanzpolitik zu, beispielweise hinsichtlich der Flüchtlingsintegration oder der Verteidigung. Das könnte zu gewaltigen Einbußen bei den Agrarsubventionen führen“, prophzeite er.
Maria Noichl sprach in diesem Zusammenhang das Greening an, im Zuge dessen die Europäische Kommission ab 2018 den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf ökologischen Vorrangflächen verbietet. „Pestizide und ökologische Vorrangflächen sind nicht vereinbar und stehen im krassen Gegensatz zu den ökologischen Zielsetzungen. Ökologische Vorrangflächen sind auch kein Instrument zur Förderung der Eiweißpflanzenproduktion wie Soja, Ackerbohnen oder Körnererbsen“, mahnte die SPD-Politikerin.
„Kein Beruf kann überleben, wenn er sich nicht den Veränderungen anpasst. Das gilt auch für die Landwirtschaft“, machte Lutz Rille deutlich. Die Produktion von hochwertigen Nahrungsmitteln stelle nur noch einen Teil der Einnahmen dar; weitere müssten über den so genannten zweiten Markt beispielsweise durch Biodiversität, Gewässerschutz oder Humuswirtschaft generiert werden. Das Resümee der beiden Referenten: „Wir müssen alle daran arbeiten, den Bauern die Angst zu nehmen. Veränderungen sind Chancen, nicht der Untergang. Landwirtschaftliche Leistungen sollten honoriert, nicht subventioniert werden.“ mia

Dieser Beitrag wurde unter EU Agrarpolitik, Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.