Bauern, Verbraucher und die Natur sind die Verlierer
Palling. (al) Es war eine traurige Geschichte, die der sehr gut deutsch sprechende, brasilianische Professor neulich in Palling hören ließ. Die Natur dort werde zunichte gemacht, um eine Handvoll Konzerne und eine Schar korrupter, diesen Konzernen höriger Politiker unermesslich zu bereichern. Prof. Dr. Antonio Andrioli von einer Universität des brasilianischen Unterrichtsministeriums (Universidade Federal da Fronteira Sul), war kürzlich auf einer Tour, um Kontakte zu europäischen Hochschulen aufzunehmen. Auf Einladung der AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) Gruppe Inn-Chiemgau-Salzach, kam Prof. Andrioli nach Palling, um über den Stand der Landwirtschaft in Brasilien und den Effekt davon in Europa zu referieren und danach darüber zu diskutieren…..
Als erstes stellte Prof. Andrioli fest, der Widerstand gegen Genmais in Deutschland habe in Brasilien sehr geholfen, auch dort dessen Nutzen zu hinterfragen. Überhaupt meinte Andrioli habe Agrikultur nicht nur mit Wirtschaft, sondern auch viel mit Kultur und Wissen zu tun. Deshalb sei es so wichtig, das Resultat der Zulassungen von Gentechnik, Pestiziden und Herbiziden in der Landwirtschaft, unabhängig von der Industrie, zu untersuchen und zu begutachten. In Brasilien sei der Pestizidverbrauch seit der Zulassung von Gentechnik stark angestiegen, wegen der immer stärker werdenden Resistenzen aller Pflanzen und Schädlinge gegen die Pestizide und Herbizide, die gentechnisch veränderte Pflanzen schützen sollen. Als Beispiel nannte Andrioli Paraquat, ein Herbizid, das in der EU nicht zugelassen ist und bis vor Kurzem auch nicht in Brasilien. Ein anderes gefährliches Herbizid sei das dioxinhaltige 2,4D, das zusammen mit Glyphosat immer häufiger eingesetzt werde, um den „Round-up“ resistenten „Super-Unkräutern“ Herr zu werden.
Ein weiterer Kritikpunkt brasilianischer Landwirtschaft ist, laut Prof. Andrioli, die Ausweitung des Sojaanbaus im Amazonasgebiet. Dort sei der Boden keineswegs für diesen Anbau geeignet. Folglich werde nach der Auslaugung des Bodens durch das Soja für eine Weile Viehzucht betrieben. Danach läge das Land brach und sei zu nichts mehr zu gebrauchen.
In Brasilien seien 90% des Sojaanbaus Gensoja, 85% des Maisanbaus Genmais und 75% der Baumwolle Genbaumwolle. Neuerdings werde auch Genzuckerrohr angebaut. Als Agrarwissenschaftler, befasse er sich mit Gentechnik, Pestiziden und Herbiziden, allerdings nicht im Auftrag, oder für Chemie-, oder Gentechnikkonzerne, sondern für eine Universität, in der auch Bauern in die Forschung einbezogen werden, sagte Andrioli. In Bezug auf die Agrogentechnik sagte der Professor, in Brasilien sei der Anbau von Gensoja seit 2003 zugelassen. Kurz danach seien die Grenzwerte für Glyphosat von 0,2 mg/kg auf 10mg/kg angehoben worden. In der EU wurde dieser Grenzwert sogar auf 20 mg/kg gesetzt, um Rückstände in Sojalieferungen zu legalisieren. Trotz dieser ohnehin sehr losen Regelung habe das bayerische Landwirtschaftsministerium auf Nachfrage keine Angaben machen können, wie hoch derzeit die Glyphosat-Rückstände im Sojaschrot seien. Eigentlich würde Europa den brasilianischen Bauern einen Dienst erweisen, wenn die mit Sojaschrot beladenen Schiffe nach Brasilien zurückgeschickt würden. Dann kämen sie wieder weg von der Gensoja Produktion und könnten sich auf die Lebensmittelproduktion für den brasilianischen Bedarf konzentrieren. Jetzt müsste nämlich eines der Hauptnahrungsmittel, Schwarzbohnen, importiert werden.
Schon mit mehreren Nachforschungen, darunter seinen eigenen, seien den Behauptungen der Chemieindustrie nachgegangen worden, der Pestizideinsatz lasse sich durch den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen senken. All diese Forschungen, außer jenen der Industrie selbst, hätten diese als Lügen enttarnt. Insbesondere für Kleinbauern, die auf die Versprechungen der Industrie hereingefallen seien, habe sich eine verheerende Situation entwickelt. Ihre Betriebskosten seien durch die Lizenzgebühren für gentechnisches Saatgut und die Kosten für Pestizide enorm gestiegen. Zudem seien die Gensorten nicht ertragsstabil. Es bleibe ihnen aber keine Wahl, als aufzugeben, oder mit der Gentechnik weiterzumachen, weil die Kontamination durch Genpollen nicht verhindert werden könne und auch kaum noch gentechnikfreies Saatgut verfügbar sei. Der Saatgut Anteil an den Betriebskosten habe in 2003 sieben Prozent betragen, in 2013 aber schon 13 Prozent. Weltweit sei der Pestizideinsatz zwischen 1996 und 2014 um 218% gestiegen, sagte Andrioli.
Auf eine Frage in der Diskussion, ob durch den Import von Gensoja auch in Europa Gefahren entstehen könnten, antwortete der Professor, das Gift bleibe nicht nur in Brasilien. „In Brasilien duschen wir schon mit „Round-Up“ haltigem Wasser“. Es gelange dorthin durch das in gentechnisch veränderten Pflanzen, enthaltene Haftmittel (Tallowamine), das die Oberflächenspannung der Blätter verändere, um den Wirkstoff Glyphosat eindringen zu lassen und von dort natürlich in den Boden und in die Wasserversorgung. Ähnlich sei die Wirkung auf die Haut. Schlimmer als Glyphosat zu trinken, meinte Andrioli. Schlussendlich werde das auch in Europa so sein.
Wer denn dann die Gewinner seien, bei der Anwendung der Gentechnik, wollte ein weiterer Frager wissen. Nicht die Bauern und Verbraucher, antwortete Andrioli. Die Bauern zahlten dabei für eine Technik die sie pleite mache und beide, sie und die Verbraucher mit Gesundheitsrisiken. Der Eiweißgehalt gentechnisch veränderter Pflanzen sei geringer als bei nicht-GVO Pflanzen, deshalb werde jetzt mit Mineraldüngung begonnen. Unabhängige Wissenschaftler hätten aber einen Zusammenhang festgestellt, zwischen Nieren- und Leberkrebs und der Kombination Nitrat und Glyphosat.
Prof. Andrioli wurde auch gefragt, wer denn hinter dem politischen Putsch in Brasilien vor etwa einem Jahr stecke. Ohne Zweifel Großkonzerne, meinte Andrioli. Nicht umsonst sei der brasilianische Landwirtschaftsminister, Blairo Maggi, der größte Sojaproduzent weltweit. Der Professor fügte hinzu, er sei in Sorge, die neue Regierung werde der von der Industrie unabhängigen Universität, an der er Vizerektor sei, in absehbarer Zeit keine Fördermittel mehr zur Verfügung stellen. Auch für Deutschland wünschte sich Andrioli, abschließend zur Diskussion, mehr Unabhängigkeit in Forschung und Bewertung von Risikomaterialien, wie Pestiziden und dergleichen.
Prof. Antonio Andrioli, Brasilien
Totes Land in Brasilien für Milch- und Fleischüberschüsse in Europa
Agro-Gentechnik, Sojaanbau und Glyphosat machen Bauern, Tiere und Böden kaputt
Prof. Andrioli ist Autor des Buches „Die Saat des Bösen, die schleichende Vergiftung von Böden und Nahrung.“ Er ist Landwirtschaftsexperte und Mitglied der brasilianischen Biosicherheitskommission. Nach dem Putsch an der Präsidentin Dilma Rousseff findet eine massive Umstrukturierung u.a. in den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt, Bildung, Gesundheit und Sozialwesen statt. Der größte Sojabauer Brasiliens ist jetzt Landwirtschaftsminister und die Großgrundbesitzer haben mit 222 Abgeordneten ein Drittel des Parlaments im Griff. Gleich zu Beginn der neuen Regierung wurden das Ministerium für Agrarentwicklung und das Ministerium für Menschenrechte abgeschafft. Bildungsausgaben werden gekürzt und Sozialprogramme gestoppt. Viele Universitäten stehen wegen mangelnder Ressourcen kurz vor der Schließung. Verfassungsänderungen z.B. bei der Renten- und Arbeitsreform finden zugunsten der Reichsten statt. Menschenrechtsverletzungen sind die Regel und Bauern und Indigene werden erschossen wenn sie für ihre Rechte auf die Straße gehen. Großkonzerne und vor allem die Agrarindustrie bekommen immer mehr Möglichkeiten ihre Monopolstellung weiter auszubauen (auch Bayer, BASF und Syngenta) und die Kontrolle über das Saatgut und Pestizide zu verstärken. Das führt zu immer mehr Gift auf den Äckern und Pestizidrückstände im Essen – über Futtermittel auch bei uns. Deshalb ist jetzt Solidarität und Vernetzung dringend notwendig. Wir dürfen „das Feld“ nicht der Agrarindustrie überlassen!
Prof. Andrioli ist es ein großes Anliegen, uns bei unserem Widerstand gegen die Agro-Gentechnik zu unterstützen,damit nicht in Europa die gleichen Fehler gemacht werden wie in Brasilien.